Liebe Leserin, lieber Leser,
heute also erhalten Sie einen ganz besonderen Gemeindebrief. Einen historisch wertvollen gewissermaßen, zeigt er doch auf seiner Titelseite Gebäude, die es mittlerweile in Michelrieth gar nicht mehr gibt: das Bürgerhaus und das "neue" Pfarrhaus aus den 60er Jahren. Es ist eine Luftaufnahme, für die ich sehr dankbar bin. Beide Häuser sind von der Bildfläche verschwunden und jeder hat so seine eigenen Erinnerungen an sie. Ganz schön gewachsen ist an deren Stelle das neue Bürgerzentrum, in dem bekanntlich auch unsere Kirchengemeinde dauerhaft Räume zur Verfügung haben wird. Allerdings keine Pfarrwohnung.
Historisch ist der Gemeindebrief vielleicht auch, weil er der letzte ist, den unsere Pfarramtssekretärin Frau Hanna Grottenthaler und ich zusammengestellt haben. Anfang 1995 war der erste erschienen. Das Gemeindebrief-Team, dem ich an dieser Stelle einmal herzlich danken möchte für alles Mitdenken und Mitarbeiten, für die vielen guten Ideen und die Treue der Zusammenarbeit, kann sich ja Corona-bedingt präsentisch gerade nicht treffen. Es ist also nun das letzte Mal: Frau Grottenthaler geht am 31. Mai, ich selbst am 31. Juli in den hoffentlich wohl verdienten Ruhestand.
Sie fragen sich wahrscheinlich, wie es weiter gehen wird. In der Zeit der Vakanz übernimmt Pfarrer Hyn aus Hasloch die Pfarramtsführung in Michelrieth. Unterstützt wird der dabei von Pfarrerin Wegner aus Kreuzwertheim und unserem Diakon Wittmann. Selbst Dekan Rupp hat sich angeboten, bei Engpässen oder anstehenden Kasualien zu helfen. Wenn alle Stricke reißen, wäre ich ja auch noch da.
Die Stelle der Pfarramtssekretärin wurde ausgeschrieben und wird neu besetzt. Es sind einige Bewerbungen eingegangen, die wir prüfen. Einstellungsgespräche werden geführt und dann entschieden, wer die Nachfolgen von Frau Grottenthaler antritt. Unser Büro bleibt weiter vorläufig in Oberwittbach. Wenn Bürostunden sind, kann man dort unter der Nummer 09391/9184610 anrufen und - wenn es Corona zulässt - auch persönlich vorbeischauen. Ich werde selbstverständlich alle Termine, die ich zugesagt habe, einhalten. Das betrifft vor allen Dingen die pandemiebedingten Verschiebungen von kirchlichen Trauungen. Das wird auch gut möglich sein, weil ich wieder in die Grafschaft zurückkehre. Die Tage in der unterfränkischen Hauptstadt Würzburg, haben mir gezeigt, wohin ich gehöre. Es lässt sich nicht leugnen, dass ich in all den Jahren, und es sind jetzt bald 29, hier Wurzeln geschlagen habe. Die Freundschaften, die entstanden und gewachsen sind, möchte ich nicht missen. Zwar hat sich verkehrstechnisch auch hier so manches verändert, aber es ist immer noch eine Gegend, die einfach wunderschön ist und die mir ans Herz gewachsen ist, vor allem die Menschen.
"Was ist die Zeit?", fragt Thomas Mann in seinem weltberühmten Roman "Der Zauberberg". Und er antwortet:
"Ein Geheimnis - wesenlos und allmächtig. Eine Bedingung der Erscheinungswelt, eine Bewegung - verkoppelt und vermengt dem Dasein der Körper im Raum und ihrer Bewegung ... Die Zeit ist tätig, sie hat verbale Beschaffenheit, sie "zeitigt". Was zeitigt sie denn? Veränderung!"
(Thomas Mann, Der Zauberberg, Fischer Taschenbuch Dezember 2013, 20. Auflage, S. 474).
Ja, und das stimmt. Alles verändert sich. Auch die selbstverständlichsten, grundlegenden Dinge. Alle Menschen wissen das. Es kommt nur darauf an, diese Veränderungen auch als etwas Positives anzunehmen und etwas daraus zu mache. Und nicht gleich zu sagen. O weh, jetzt wird gleich die Welt untergehen ... Noch ein Aspekt ist mir wichtig. Das wissen wir auch: wenn wir das Gefühl haben, dass es gerade schön ist, dass etwas Spaß mach, dann vergeht die Zeit schnell. Wird etwas brenzlig, vergeht sie nur langsam. Besonders aufgefallen ist mir das auf unseren Gemeindefahrten, die alle schön waren und unter Gottes Segen standen. Insgesamt vier Mal waren wir in Israel: 1994, 1996, 2008 und 2019. Dass sich jetzt in unserem Land wieder Antisemetismus regt, entsetzt mich und mach mich traurig. Schiller dichtete einmal:
"Dreifach ist die Schnur der Zeit: zögernd kommt die Zukunft herangezogen, pfeilschnell ist das jetzt entflogen, ewig still steht die Vergangenheit."
An der nichts mehr zu ändern ist, aber aus der wir lernen können. Allein aufgrund unserer Vergangenheit darf es in Deutschland keinen Antisemetismus geben. Und ein Christenmensch darf sowieso nur gregorianisch singen, wenn er für die Juden schreit (Dietrich Bonhoeffer).
Ich möchte mich sehr herzlich bedanken, nicht nur bei den verschiedenen Kirchenvorstehern, die ich erleben durfte, sondern bei Ihnen allen. Bleiben sie von Gott behütet. Wir sehen uns - so Gott will und wir leben.
Ihr Pfarrer
Reinhold Völler